Schwur des Blutes

Night Sky 2

Trilogie - Band II


Prolog - New Orleans - Storyville - 6. Juni 1918


Der Geruch nach Eisen kroch Zeemore Fontaine in die Nase, als er aus der Bewusstlosigkeit erwachte. Sein Blick richtete sich gen Himmel. Sternenklare Nacht. Er hätte nicht gedacht, nochmals den Anblick genießen zu dürfen. Doch sein Körper war zäh, witterte Nahrung, bündelte die letzten Kraftreserven und hatte ihn zu den Lebenden zurückgeholt.
Zeemore blinzelte, aber der Schleier vor seinen Augen verschwand nicht. Niemand würde ihn in dem verlassenen Rotlichtviertel finden. Er war allein mit dem Wind, der Sand über den Boden trieb und ihn bedeckte, als sänne er danach, ihn zu begraben. Lange lag er schon hier, doch wie lange, konnte sein Hirn nicht erfassen. Taubheitsgefühl und Wahn mischten sich. Fast meinte er, die längst verklungenen Jazz-Rhythmen zu vernehmen, hörte die Professoren am Piano um Kundschaft werben, roch die parfümierten Leiber … Allein war gut. Es musste gut sein.
Die Lider fielen ihm zu. Sein Atem ging röchelnd. Er befand sich beileibe nicht jenseits des Schmerzes und mit der Qual überkam ihn die befürchtete Angst. Er hatte gewusst, dass sie kommen würde. Wer liebte, der wollte leben. Eine Träne rann über seine Wange den Hals entlang und vermischte sich mit seinem Blut. Schauder überliefen seine verdorrte Haut. Er handelte richtig. Zu lange hatte er eigennützig geliebt, ohne zu geben. Seine Frau betrog ihn zu Recht. Elena-Joyce traf keine Schuld.
Zeemores Fänge schossen hervor. Wut auf den Reinblüter, der er gern wäre, schüttelte den geschwächten Körper. Seine Fäuste ballten sich, unkontrolliert riss er an den Stahlketten, die seine Arme auf den Rücken verdrehten und chancenlos an den Laternenpfahl fesselten. Zorn färbte seinen Blick. Er knurrte dem Sensenmann entgegen. Unbarmherzig hatte er gehungert, sich ausgezehrt. Er war zu schwach, um sich zu befreien, sollte er seine Entscheidung bereuen. Sogar die Todesangst reichte nicht. Gott sei Dank. Jetzt lag es an ihm, Ruhe zu bewahren und abzuwarten. Es war richtig. Es musste sein. Und doch schmerzte es. Josephine war nicht seine Tochter, aber er liebte sie so sehr. Vielleicht sollte er …
Zeemore spannte die Muskeln an, stemmte sich gegen den Pfahl, bis sein Leib zitterte wie unter Schüttelfrost. Blut pumpte aus den vier tiefen Einstichen an seinem Hals. Seine Anstrengungen versiegten, der blutrote Strom floss unaufhaltsam. Schwindel raubte ihm die Sicht. Gut so. Seine letzte Aufgabe bestand darin, den Tod willkommen zu heißen. Er lehnte den Hinterkopf an die Stange und schloss die Augen, betete für seine Familie. Ihm wohnte eine unbezwingbare Gefahr inne, vor allem für die, die er liebte. Nebel bettete seinen Geist in Watte. Er würde nicht wieder erwachen. Es war endgültig Zeit, loszulassen.
„Dad! Was machst du hier?“
Sein Herz setzte aus, stockte, bis der Gedanke sein Gehirn erreichte. Was tat Timothy in New Orleans? Zeemore hatte sich zum Sterben weit entfernt zurückgezogen. Er öffnete die Lider, sah jedoch nichts. Der Duft seines Sohnes verstärkte sich. Furcht stinkt und lässt sich nicht übertünchen. Als er die Schwingungen von Timothys Nähe spürte, durchfuhr ihn ein Ruck. Timothy durfte nicht näher kommen. Er riss seine Lippen auf, doch kein Laut erklang.
„Verdammte Scheiße, Dad!“
Timothys Stimme überschlug sich, schallte, als wäre er im Stimmbruch. Er selbst war nur imstande, den Kopf zu schütteln. Sein Sohn durfte unter keinen Umständen mit seinem Blut in Berührung geraten. Niemand. Weshalb strafte man ihn erneut? Als er witterte, dass Timothy die Hand nach seinen Halswunden ausstreckte, entwich ihm ein Knurren. Verzweiflung klärte seinen blutroten Blick.
„Dad, ich bin’s!“
Zeemore schnappte nach Timothys Fingern.
„Halt still! Verflucht, wer hat dir das angetan?“
Timothys Schluchzen durchdrang sein Herz wie splitterbestücktes Pech. Zähflüssig. Kochend heiß. Sein Inneres zerreißend. Er schluckte. „Hör … zu.“
„Was? Dad, was soll das? Erkennst du mich nicht? Ich muss die Wunden verschließen. Lass mich …“
„Nein!“
Timothy wich nicht zurück. Zeemores Sicht verschwamm erneut. Er war stolz auf seinen Sohn, doch war Timothy der Letzte, den er hier sehen wollte. Es blieb keine Zeit für Gefühle. Er musste Timothy behüten. Nur wie? Er wusste selbst zu wenig über sein verseuchtes Blut. Nie war es ihm gelungen, herauszufinden, was geschah, wenn der Fluch sein Handeln übernahm und er imstande war, zu töten. Es marterte seit Langem sein Bewusstsein. Suizid blieb der einzige Weg, seine Lieben zu schützen. Verdammt, er hatte zu lange gezögert. Weshalb war er nicht bereits ausgeblutet, die Saat der Hölle im Sand versickert?
Ein Brüllen erfüllte die Nachtluft. Zeemore fühlte eine Erschütterung, einen Stoß auf der Wirbelsäule, dann kippte er wie ein Kornsack auf die sandige Straße. Sein Gesicht landete seitlich im Schmutz. Ein Erdbeben erschütterte den Boden und Hände rollten ihn auf den Rücken. Timothy hatte den Laternenpfahl aus dem Erdreich gerissen und zur Seite gekippt.
„Tim…“
„Ja, Dad?“
Der Schmerz in Timothys sonst so weichem Bariton folterte ihn schlimmer als all die Verachtung, die ihm sein Leben lang entgegengeschlagen war. „Hör genau zu.“
„Ich muss erst …“
Er fletschte die Zähne, als Timothys Mund seinem nahe kam. „Du stirbst.“
Timothys Augen weiteten sich, die blauen Iris glühten vor Sorge. Er hielt inne, runzelte die Stirn. „Du bist zu schwach, um mir etwas anzutun.“
Zeemores Lider flatterten. Timothys Vertrauen mutete viel zu gut an für diese Welt. Er hätte ihm die Realität vor Augen führen sollen, anstatt ihn vor furchtbaren Wahrheiten zu beschützen. 2.000 Meilen von zu Hause entfernt waren nicht genug, um seinen Sohn daran zu hindern, ihn zu finden. Sie standen sich zu nahe. Er hätte es wissen müssen. Timothy half immer zuerst anderen, dachte nie an sich. „Fürsten …“
„Was hat der Rat der Wesen damit zu tun? Dad, verdammt, wenn ich nicht sofort …“
„Fluch auf mir.“
Timothys Schlucken bestätigte, dass er ihm endlich Gehör schenkte. Nichts war wichtiger. Eine tonnenschwere Last erhob sich von seinem Herzen. Timothy hatte verstanden, dass er ihn nicht berühren durfte. Sein Blut klebte bestimmt überall. Jetzt musste er ihn warnen, falls sein Sohn das Gen der Finsternis unbemerkt in sich trug.
„Geh zu Lex-Vaun. Mettre sur le tapis.“
Wie in Trance sagte Timothy: „Oui, Papa.“
Ein Tropfen traf Zeemores Kinn. Er erschrak bis ins Mark. Timothy war nach wie vor zu nah … viel zu nah. Sein Sohn musste über ihn gebeugt sitzen. Hatte Timothy denn nicht begriffen?
„Wer war das? Dad … lass mich nicht allein.“
Weiche Daunen hoben ihn empor. Er starb und es gab noch Elementares zu sagen … „Familie, bitte.“
„Ja, Dad. Ich kümmere mich um Mom und Jose.“
Zeemores physische Qualen entschwanden, die Gefühlspein wich. Glitzern erhellte seine Sinne, hüllte ihn in Wärme. Ein Lächeln breitete sich wie eine Streicheleinheit aus. Seine Seele löste sich aus der toten Hülle – himmelwärts.
Timothy weinte. „Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, dass ich unsere Familie beschützen werde. Ich liebe dich, Dad. Oh, Dad, bitte verzeih, dass ich zu spät kam.“
In Zeemores Ohren klang seine eigene, unhörbare Stimme wie das rauschende Säuseln eines Baches. „Ich liebe dich auch, mein Sohn. Auf ewig.“ Wolken verwehrten ihm zeitweise die Sicht auf Timothys kleiner werdenden Körper, der sich vorbeugte.
„Dad! Oh nein, bitte nicht Dad … Komm zurück!“
Zeemores letzter Blick aus dem Himmel auf die Erde galt seinem Sohn, der sein Versprechen mit der Versiegelung der vier Einstiche im Hals und einem Kuss auf die Stirn verbürgte.
„Ich schwöre, Dad. Bei unserem Blut.“

93 Jahre später
15. April - Kalifornien, Nordamerika

Timothy wischte sich die schmutzigen Handflächen an der Jeans ab. Sie zitterten. Sein verdammter Körper schien Beklemmungen auf diese Art zu kompensieren. Seinem Herz verbot er, zu fühlen. Er fluchte im Stillen und richtete den Blick in das schwarze Loch, das er soeben freigelegt hatte. Der wagengroße Steinquader hatte den Eingang beinahe ein Jahrhundert lang im Verborgenen gehalten. Timothy strich sich das Haar aus dem Gesicht. Ewig hatte er diesen Ort nicht besuchen können. Umso schwerer fiel ihm der heutige Gang. Einerseits ein Rettungsanker, der aber auch in der Lage war, ihn noch tiefer in den Abgrund zu zerren, falls er keine Antwort fand, was zu erwarten blieb. Dennoch hoffte er auf das Wunder einer Eingebung, einen Hinweis, eine Stütze.
Er sollte das Zwiegespräch nicht unnötig hinausschieben.
Er sandte seine Sinne aus, ohne sich zu rühren. Wie vermutet hielt sich höchstens Rotwild in dieser Gegend auf. Die dichten Nadelwälder im Hinterland von San Francisco beschützten die Gruft, solange sie bestanden.
Er gab sich der Hoffnung hin, dass sie viele weitere Dekaden überdauerten, damit seine Familie dereinst im ewigen Schlaf zusammenfand. Selbst wenn ihm die goldverzierte Familienkatakombe der Fontaines in New Orleans nicht verwehrt wäre, wünschte er, genau hier bei seinem Dad im Wald beerdigt zu werden.
Er warf vorsichtshalber seine Pillen ein, schluckte und räusperte sich. Genug Zeit geschunden. Er beugte Kopf und Rücken und trat durch die verborgene Nische in die Gruft.
Finsternis hüllte ihn ein. Sogar seine Augen erkannten nur schemenhaft den Durchbruch, den er vor 93 Jahren außer sich vor Trauer gegraben hatte. Seine Erinnerungen glichen verschwommenen Lichtblitzen, doch meinte er zu erkennen, dass niemand den Ort entweiht hatte. Dad hatte in Frieden ruhen dürfen. Eine Erleichterung. Obwohl Zeemore sich über Besuch von seiner Frau oder Josephine zweifellos gefreut hätte.
Timothy presste die Lippen aufeinander und ließ sich über das Felsgeröll einige Körperlängen tief in das Grab hinab.
Die Luft roch schimmelig, die Erde unter seinen dicken Sohlen schmatzte leise. Er hätte damals eine bessere Stätte suchen müssen, eine würdigere. Denn entgegen dem gesamten aristokratischen Clan der Fontaines fand Timothy, dass der angeheiratete Zeemore derjenige mit der gewissen Würde war, mit der sich all die anderen brüsteten. Aber er wollte heute nicht über die Snobs nachdenken, die seine Familie zerstört hatten. Es gab Wichtigeres. Er bewegte sich gekrümmt vorwärts, immer bedacht, sich zwischen dem nachrutschenden Geröll und den spitzen Steinen nicht das Genick zu brechen. Wie eine Luftblase im Felsen weitete sich das schmale Einstiegsloch zu einer niedrigen Höhle. Er erinnerte sich nicht, wie er den schweren Eichensarg hier hinunterbekommen hatte. Die fast ebene Fläche, die er mühsam aus dem Felsgestein geschlagen hatte, lag unübersehbar vor ihm. Ohne das Podest zu berühren, auf das er den Sarg gebettet hatte, ging er in die Hocke und faltete die Hände. Ein dunkler Fleck zierte die Plattform. Das Einzige, was von Zeemore übrig geblieben war. Timothys Kiefer zuckte wie unter Strom. Es auf die schlechte Luft zu schieben wäre müßig, er wusste, dass er am Ende seiner psychischen Kräfte war. Bevor er die Fassung verlor, unterband er gewohnheitsgemäß seine Gefühle und konzentrierte sich auf den Grund seiner Aufwartung. Weder Aberglaube noch Spiritismus schreckten ihn, dennoch ließ ihn der Gedanke nicht los, er würde Dad das Dasein im Jenseits gründlich verderben, wenn er die auf ihm lastende Frage stellte. Doch wie sollte er dem Schrecken sonst entgegentreten? Er schloss die Lider.
„Hallo Dad. Bitte entschuldige, dass ich dich erst jetzt besuche. Ich …“
„… wurde aufgehalten? Konnte nicht früher kommen? Jemand hinderte mich …“
Timothy schenkte der weiblichen Stimme keine Beachtung und setzte erneut an.
„Also, Mom sieht bezaubernd aus wie eh und je. Dein Tod war ein harter Schlag, aber du kennst sie ja. Sie ist nun in einer …“
„Anstalt für Verrückte? In Gewahrsam?“
„… großen Villa, in der sie fürsorglich betreut wird. Die Unterbringung ist wirklich luxuriös.“
„Und wird von einem Freund bezahlt …“
„Und Josephine, du wirst lachen, ist verheiratet. Alexander ist ein liebenswerter Kerl. Du würdest ihn mögen.“
„Yep, die Familie Baker sorgt gut für deine Schwester und deine Mom. Wie wäre es, wenn du zulassen würdest, dass sie es auch für dich tun?“
Timothy knirschte mit den Zähnen, versuchte, die wohlbekannte, unabschaltbare Stimme in seinem Schädel zu ignorieren. „Dad, mir geht seit einer Weile unser letztes Gespräch im Kopf herum. Mir ist da nämlich etwas …“
„Grauenhaftes? Monströses?“
„… nicht so Schönes passiert.“ Timothy rieb sich die geschlossenen Lider. „Weißt du, ich möchte dich nicht belügen.“
„Tust du das nicht die ganze Zeit?“
„Sei still!“ Timothy schnaufte, weil er sich immer wieder aus der Fassung bringen ließ. Nein, er belog ihn nicht. Er bewahrte Dad nur vor den fatalen Wahrheiten. Er sollte in Frieden ruhen. Nur wie brachte er die Frage über die Lippen, ohne den Horror zu erwähnen, den er angerichtet hatte? „Ich befürchte …“
Ein Geruch fuhr ihm in die Nase und versetzte Körper und Geist in Alarmbereitschaft.
Wie ein Blitz wandte er sich um, das Gesicht Richtung Ausgang gerichtet, und sog scharf die sauerstoffarme Luft ein.
Werwölfe!
Ich komme bald wieder, verabschiedete sich Timothy.
„Und den Gedanken soll dein Dad jetzt hören? Ein wenig paradox oder nicht?“
Die Unruhe trieb Timothy hinaus. Stand der Vollmond am Himmel? Weshalb rottete sich ein Rudel Werwölfe zusammen? Seinem Wissen nach jagten sie in entlegenen Gebieten, in denen es größeres Wild zu reißen gab und sie keine Gefahr liefen, beim oft barbarischen Schmaus entdeckt zu werden. So geräuschlos wie möglich wälzte er den Gesteinsquader vor den Eingang zur Gruft.
„Hm?“
Jedem Wesen würden die abgeknickten Ranken und Gräser sowie sein Vampirgeruch auffallen, das war ihm klar, doch daran ließ sich nichts ändern. Wie ein Affe mit Superkräften kletterte er die Felsen hinauf und verharrte am höchsten Punkt.
Der Wind trug die Geräusche der Nacht empor, ebenso die urtümlichen Gerüche der Natur. Eichen und Bärentraubensträucher, blühende Wildblumen, feuchter Boden mit unzähligen Schlammpfützen, ein nahender Regenschauer, eine läufige Wölfin, ein Mensch …
Timothy sprang hinab und federte trotz der Höhe weich und lautlos auf dem Humusboden ab. Er nahm Witterung auf und spurtete los, überließ seiner Wahrnehmung das Leiten seiner Muskeln, düste wie eine Rakete durch den Wald, wich den ausgestreckten Tannenzweigen aus und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Die Paarungszeit der Wölfe lag Monate zurück. Weshalb witterte er einen Menschen auf diese Entfernung? Je näher ein Vampir einem anderen im Blute stand, desto weiter entfernt nahm er dessen Aura wahr. Doch diesen Homo sapiens kannte er nicht. Der Duft war ihm unbekannt. Erst nach einigen Meilen ging ihm auf, wie verrückt das Ganze war. Er stoppte abrupt, sodass seine Stiefel sich in die modrige Erde gruben.
„Genau, was kümmert es dich?“
Dann war die Wölfin eben äußerst spät dran, lockte mit ihrem willigen Geruch die Werwölfe, die ihren niederen Artgenossen gewiss nichts zuleide tun würden. Aber eine Menschenfrau inmitten der Bestien …
„Nicht so gut.“
Was trieb sie hier, allein, nachts, am Arsch der Welt? Er stopfte das Lederband mit dem Anhänger zurück unter sein Hemd. Die kühle Diamantkugel eignete sich rasch seine Körpertemperatur an. Theoretisch müsste er zu einem Eisblock gefrieren, wenn er sie berührte, doch obwohl sie ihn an Grausames erinnerte, wärmte sie sein Inneres.
„Total widersprüchlich. Aber vielleicht solltest du mal darüber nachdenken …“
Das war ihm bewusst, dennoch blieb es eine Tatsache. Er zog die Nase kraus. Die Werwölfe näherten sich der läufigen Wölfin, die sich in derselben Richtung aufhielt wie die Frau. Er schritt voran.
„Seit wann spielst du Cop? Hast du nicht genug Probleme?“
Was Homo sapiens taten, betraf ihn wirklich nicht, durfte ihn weiß Gott nicht einmal kümmern, trotzdem trugen ihn seine Füße weiter.
Zwischen den wölfischen Sexualpheromonen schälte sich ein zarter Vanillegeruch heraus. Äußerst belebend, sogar anziehend. Was zum Teufel …? Er begann, wieder zu rennen. Seine Neugierde hin oder her, die Menschenfrau steckte in Schwierigkeiten, falls sie die paarungsbereite Wölfin eingefangen hatte. Das würde in einem Massaker enden, selbst wenn Werwölfe in der Regel Menschen nicht als Nahrung betrachteten. Es war nur zu bekannt, was kleinste Mengen an Lockstoffen in den Gehirnen von Tieren auslösten. Die animalischen Instinkte einiger Wesen reizten sich in gewissen Situationen bis zum Äußersten. Wie männliche Werwölfe auf eine in Gefahr schwebende, läufige Artgenossin reagierten, konnte er sich bildlich vorstellen. Weshalb lockte dieser dämliche Geruch so enorm intensiv, dass sogar er ihn auf Meilen witterte?
Er kam den Düften näher und verlangsamte seinen Lauf auf einer modrigen Lichtung.
Ein Luftzug warnte ihn. Er duckte sich, doch ein Geschoss bohrte sich tief in seinen Oberschenkel. Narkotika! Sein Vampirkörper kämpfte augenblicklich gegen die Wirkung an. Taumel befiel ihn. Der Waldboden bewegte sich ruckartig. Er verlor den Halt, landete benommen auf dem Rücken im Morast. Ein Motor jaulte auf. Ehe er aufzuspringen vermochte, erhob sich um ihn herum ein schweres Fangnetz aus dem Matsch.
Timothy knurrte und setzte zum rettenden Sprung an. Ein weiterer Minipfeil traf ihn am Hals und ließ ihn wie eine Statue nach vorn kippen. Das Netz schnürte sich über ihm zusammen, sperrte ihn ein. Mit einem Ruck ging es aufwärts. Er wollte die Stahlseile zerreißen, doch sie hielten seiner Kraft stand. Tannenzweige peitschten ihm auf dem Weg empor ins Gesicht. Timothy brüllte vor Kraftanstrengung, als er ein Knie in eines der Quadrate im Geflecht stemmte und mit den Fäusten auf der anderen Seite eine Masche entzweiriss. Ein Zischen wie von einer Schlange kündigte Strom in dem Stahlnetz an. Ein schmerzhafter Biss schockte ihn. Er war am Ende. Sein Körper gehorchte nicht mehr. Keuchend erschlaffte er und versank in Dunkelheit.